"Das leise Sterben" von Martin Grassberger

(eine Buchempfehlung von Ignaz Freisl)

 

ISBN: 9783701734795, Residenz Verlag 

 

Geballtes Wissen

Das leise Sterben im Titel des Buches bezieht sich nicht nur auf die Flora und Fauna in Zeiten des Klimawandels, sondern auch auf das Verschwinden unserer Koch- und Esskultur und die zunehmende Präsenz von Fast Food, auf das Bauernsterben, sowie auf das Sterben unseres inneren Gartens, des sogenannten Darm-Mikrobioms. All diese Aspekte sind Folgen der industriellen Landwirtschaft, weswegen der Autor eine Abkehr von gängigen landwirtschaftlichen Maßnahmen wie dem Einsatz von Mineraldünger, Pestiziden und Insektiziden fordert und Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen propagiert.


 

Einflussnahme der Industrie auf Forschung

In seinem Buch zitiert der Biologe und Arzt nicht nur wissenschaftliche Studien und Forschungsergebnisse, um seine Thesen zu untermauern, sondern deckt als unabhängiger Wissenschaftler auch gängige Praktiken auf, die gleichermaßen interessant wie beunruhigend sind. Hierzu zählen die finanzielle Einflussnahme der Industrie auf die biomedizinische Forschung ebenso, wie das Lobbying der Konzerne in Brüssel. Diese Taktiken haben zur Folge, dass bedenkliche Stoffe als sicher eingestuft – und mehr noch – als notwendig für die Gesundheit der Bevölkerung dargestellt werden. So hat Glyphosat laut seinem Hersteller keine Wirkung auf den Menschen, wird aber von der Weltgesundheitsorganisation WHO als krebserrregend beurteilt; und es gibt sogar eine Vielzahl von Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Glyphosat sowie anderen Ackergiften und Krankheiten wie Autismus, ADHS, Alzheimer, Parkinson, Nieren- und Lungenleiden sowie Unfruchtbarkeit, um nur einige zu nennen, sehen. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass die Grenzwerte für Pestizidrückstände in Lebensmitteln in der EU laut Grassberger „situationselastisch“ sind und es bisher keine Studien oder offizielle Einschätzungen des kumulativen Risikos mehrerer Pestizide gibt. Neben einer erschreckenden Anzahl an Schadstoffbelastungen spricht der Autor auch über die Rolle des Bio-Landbaus in Sachen Nachhaltigkeit, über Essensvernichtung und den Welthunger. Dieser könnte, entgegen vieler Behauptungen, auch mit nachhaltig ökologischem Landbau gestillt werden, sofern die verfügbaren Anbauflächen für die Lebensmittel- und nicht zu einem erheblichen Teil für die Tierfutterproduktion verwendet würden. Der Autor bezeichnet es als „Falle des Kurzzeitdenkens“ (138) und spricht sich für eine effiziente und nachhaltige Ressourcennutzung aus.

 

Wer bin ich und wenn ja, wie viele?

Im zweiten Teil des Buches erfahren die Leserinnen und Leser mehr über die Evolution und die Einheit des Lebens. Grassberger zeigt auf, dass Bakterien die wahren Herrscher der Welt sind und dass die heimliche Kraft allen Lebens das Mikrobiom ist. Dieses wird schon bei der Geburt von der Mutter auf das Kind übertragen und dessen Zusammensetzung verändert sich durch die Ernährung und durch andere Umwelteinflüsse. Ist die Balance zwischen den Mikroorganismen und deren Wirten gestört, kommt es zu einem Anstieg nichtübertragbarer chronischer Erkrankungen des Menschen sowie zu einer Zunahme von Tier- und Pflanzenkrankheiten. Interessant ist hier, dass es keine Trennung zwischen Mensch und Natur bzw. zwischen dem „Ich“ und der „Außenwelt“ zu geben scheint. Die Untersuchung des Mikrobioms zeigt auf, dass alles miteinander verbunden ist. Wir tragen die Ökosysteme der Erde in uns und hier scheint dem intakten Bodenleben und vor allem der schwindenden Humusschicht eine zentrale Rolle zuzukommen.

 

Lösungsstrategien

Im dritten Teil des Buches werden Wege aufgezeigt, wie man die Bodenfruchtbarkeit verbessern und das Darm-Mikrobiom durch abwechslungsreiche und konsequent biologische Ernährung stärken kann. Außerdem werden Lösungsstrategien von „Agrarrebellen“ aus dem In- und Ausland vorgestellt und schließlich richtet der Autor Forderungen an die Politik, wie zum Beispiel die Einführung einer Zuckersteuer und die verpflichtende Kennzeichnung von pestizidbelasteten Lebensmitteln.

 

Martin Grassbergers Buch beleuchtet die Evolution und Lebensgrundlage des Menschen von verschiedenen Seiten in eindrucksvoller Art und Weise und ist somit ein Beispiel für Grundlagenforschung auf höchstem Niveau. Es sollte in Zeiten des Klimawandels in keinem Haushalt und in keiner Bibliothek fehlen und kann als eine Art „Bibel“ für eine gesunde Zukunft gedeutet werden.